Im Wildkirchli daheim an der Ebenalp findet heute eine Gedenkfeier für Scotty Marion statt. Ich bin in Gedanken und im Herzen dabei. Scotty ist am 8. August zu seinem vermutlich letzten Flug von der Ebenalp gestartet. Nach dem Start wurde er noch am Chäserrugg gesichtet, sein weiteres Schicksal ist ungewiss. Alles Suchen blieb erfolglos. – Ich bin Scotty einige Male begegnet, zuletzt in den Tagen vor seinem letzten Flug.
Kategorie: reportage
Indienreise, Landeplatz Reisfeld bei Suja
Heute wollen alle fliegen, zu elft fahren wir zum Startplatz. Als ich um zehn vor zwölf starte, sind Rico und Räto schon längst Richtung Manali unterwegs, etwa 40 km weiter im Nordosten, und nicht mehr zu sehen. Eric und ich fliegen hinterher. Zwei Kreten weiter kommen uns die beiden auf einmal wieder entgegen. Es scheint wohl nicht so gut zu laufen Richtung Manali. Eric fliegt noch zwei Rücken weiter. Er erzählt später, wie schwer es war zurückzukommen. Ich schliesse mich den Schweizern auf dem Flug in die Gegenrichtung an. Allerdings nicht, ohne vorher einige Kreise mit einem gefiederten Gefährten zu ziehen. Der Vogel, der etwa einen Meter Spannweite hat, fliegt bis auf Armeslänge an meinen Schirm heran.
Zu dritt kommen wir gut voran. Die beiden schnelleren Ozones zeigen mir an jedem Rücken die Thermik gut an, so dass ich sie beim Höhe machen wieder einholen kann. Doch ziemlich bald setzen uns die immer weiter wachsenden Wolken auch in diese Richtung eine Grenze. Zurück zum Startplatz. Ich erwische ein 8.9 m/s Steigen, fast ein wenig unheimlich… Für den heutigen Tag habe ich genug, und fliege ins Flache hinaus. Ich kehre zu spät, um den regulären Landeplatz zu erreichen, und suche mir ein abgeernetes Reisfeld in der Nähe des tibetischen Internates aus.
Hier sieht es friedlich aus: überall spielende Kinder, zufriedene Gesichter. Die Lehrerin, die mir freundlicherweise den Weg zurück weist, spricht prima englisch und erzählt mir, dass fast 1800 Kinder in der Schule in Suja untergebracht sind. Sie alle sind aus Tibet geflüchtet. (Aus anderer Quelle habe ich erfahren, dass die Flucht aus Tibet mit einem etwa zweimonatigen Fussmarsch verbunden ist. Viele überleben diese Strapaze nicht.) Ihre Eltern leben entweder in Tibet, oder die Kinder sind Waisen. Die jüngsten unter ihnen sind drei Jahre alt. Das Internat wird vom SOS-Kinderdorf gesponsert. Eine gute Sache, denke ich, und nehme mir vor, bald wieder etwas zu spenden.
Der Fussweg nach Bir führt vorbei an Reisfeldern, über einen Bach, unter Bäumen und Bambus entlang. Kurz vor dem Ort wird der Pfad von kleinen bäuerlichen Betrieben gesäumt. Hunde, Hühner, Kälber und Kühe; Frauen und Kinder bei der Feldarbeit. Maiskolben sind zum Trocknen auf den Dächern oder im Hof ausgebreitet. Im Ort angekommen, lädt mich eine kleine Gruppe indischer Frauen zum Tee ein. Wir machen ein paar Photos und lachen.
Auf dem offiziellen Landeplatz bietet sich ein ähnliches Bild wie gestern. Spielende Kinder, junge Inder, tibetische Mönche und westliche Gleitschirmflieger geniessen den Nachmittag. Einer nach dem anderen landet, und wohlbehalten kehren wir ins Dorf zurück. Dort erstehe ich ein Original weinrotes „Free-Tibet“-Wollplaid, denn die Abende im Garten des Emaho-Cafes sind schon recht frisch. Wieder staune ich über die Preise: für umgerechnet fünf Franken – Festpreis, in jedem Laden gleich, kein Handeln erforderlich – bekommt man diese schöne Decke. Der superfeine Kugelschreiber hat umgerechnet nur zehn Rappen gekostet. Wie funktioniert das?
Am Abend im Internetcafe bin ich wie immer gespannt, ob es neue Gästebucheinträge gibt. Ich freue mich sehr über Eure Einträge!
Indienreise, Startplatz „Billing“

Vor dem ersten Start beeilen sich Räto (CH), Zavo (IT) und Eric (US) als die Basis zunächst weiter sinkt. Das mittlere Gebäude im Hintergrund ist das Teehaus
Schon früh am Morgen setzt die Wolkenbildung ein. Beim Frühstück werweissen wir, ob sich der Weg zum Start überhaupt lohnt. Sieben entscheiden sich für die Bergfahrt mit dem Jeep. Die anderen entscheiden sich für Alternativen wie wandern, waschen, Wehwehchen auskurieren und verpassen einen ausgezeichneten Flugtag.
Zwar ist der Tag nicht streckenflugtauglich, denn in NNW baut sich ein Gewitter auf. Doch wir geniessen das Spiel unter, neben und in den Wolken. Nach fast zwei Stunden lande ich top, und wir trinken Tschai auf der Veranda. Beim zweiten Start hat das „Publikum“ gewechselt: am Morgen fragte uns ein Touristenpärchen aus Utah übers Gleitschirmfliegen aus, nun gucken etwa zwanzig Einheimische zwischen acht und achtzig den Piloten aufmerksam zu und spenden Beifall bei gelungenen Starts.
Ich erkunde das umliegende Gelände und fliege dann Richtung Landeplatz „sunset spot“. Unterwegs kreise ich in der Nähe des im Wald gelegenen Klosters über einem Schwarm von Raubvögeln. Beim Landeanflug bin ich fasziniert vom satten Grün der Felder und verstaue die Kamera gerade noch rechtzeitig, um mich auf die letzten Meter vor dem abgeerneten Reisfeld zu konzentrieren. Wie gestern schon überschätze ich den Wind. Die Gebetsfahnen flattern schon beim leisesten Hauch, anders als Schweizerflaggen. Auf dem leicht abschüssigen Feld sitzen tibetische Mönche und junge Männer, die den Feierabend geniessen. Eine Horde Jungs spielt Gleitschirmfangen. Mit mir ist’s nicht so leicht, denn ich bin etwas zu hoch und zu schnell. Sie freuen sich, als sie mir beim Zusammenlegen helfen dürfen und haben noch mehr Freude als wir uns die Photos ansehen, die ich von ihnen geschossen habe.
In der Ferne grollt schon länger der Donner, als auch der letzte von uns endlich landet. Wir packen gemütlich zusammen und trollen uns Richtung Cafe Emaho, dem bereits erwähnten Treffpunkt der Gleitschirmflieger. Der Rest des Tages vergeht wie üblich. (Kann man das am zweiten Abend schon so sagen?) Duschen, essen, internetten.
Indienreise, Ankunft in Bir
Die ganze Nacht sind wir unterwegs. Anfangs schnurgeradeaus, später genauso konsequent in Links-Rechts-Kurvenkombinationen. Wegen des ausgesprochen zügigen Fahrstils der Inder – unser Busfahrer macht da überhaupt keine Ausnahme – erweisen sich diese Kurven als 100%ig wirksamer Schlafkiller, denn ich bin permanent gefordert, das Gleichgewicht zu halten: „aktiv Busfahren“. In der Dämmerung erreichen wir die vorletzte Etappe, einen kleinen Ort, dessen Namen ich nicht behalten habe. Es gibt dort Affen! Die laufen auf der Strasse herum und geben lustige Laute von sich. Wir steigen nach den üblichen zähen Preisverhandlungen ins Taxi um und sind eine halbe Stunde später in Bir.
Für Didi ist es ein bisschen wie Heimkommen, und jeder kennt ihn hier in der Lama-Siedlung von Bir. Das kleine Cafe wird sofort geöffnet, als Didi anklopft. Wir erhalten ein feines Frühstück: Vegi-Omelett, Spiegeleier, Brot, Tschai (= süsser Schwarztee mit Milch). Nach und nach trudeln viele Menschen ein, die sich über die Rückkehr von Didi freuen. Die meisten Einwohner in der Siedlung sind Exiltibeter. Überall in den Gärten hängen darum Gebetsfahnen: mehr Windspione wurden noch nie in einem Fluggebiet gesichtet!
Am späten Vormittag machen sich drei Autos vollgeladen mit Gleitschirmtouristen auf den Weg zum Startplatz in Billing. Der Weg führt eine Dreiviertelstunde lang durch üppige Vegetation – bei angenehmen Temperaturen. Am Startplatz noch ein wenig Tschai, dann nehmen wir unser fliegerisches Tagesziel in Angriff: angesichts der zurückliegenden schlaflosen Nacht ist ein entspannter Sightseeing-Gleitflug über 1000 m Höhendifferenz zurück nach Bir angesagt. Die Luft ist heute recht feucht, eine Inversion ist sichtbar, die Thermik mässig, und die Basis kaum über Startplatzhöhe. In sicherer Entfernung vom Gelände entspanne ich mich, lasse die Bremsen los und knipse, was das Zeug hält. Das Auge kann sich gar nicht satt sehen an der Landschaft. Hinter mir hohe Berge ohne Ende, vor mir öffnet sich das Land mit Ortschaften, Flüssen, Reisfeldern. Auf dem Luftphoto seht ihr den Anflug auf Bir. Einer der beiden Landeplätze liegt am linken unteren Zipfel der Ortschaft.
Nach einer guten Viertelstunde bin ich sicher gelandet und freue mich aufs Duschen und das Mittagsschläfchen.
Indienreise, Ein Tag in Delhi

Didi steigt aufs Dach – Busstation in Delhi

Markt im Pahar Ganj
Ausschlafen, frühstücken, Geld wechseln. Ich lasse mein Netzkabel für den Computer vom schweizerischen auf den indischen Dreipolstecker umbauen. Didi verhandelt mit dem Parachute-Ausrüster über die Herstellung von „Mushroom-Bags“. Das sind praktische, farbige Nylonsäcke, in die der Gleitschirmpilot seinen zum Blumenkohl (=mushroom) gebündelten Schirm verstauen kann, um ihn vor Staub und UV-Strahlung zu schützen.
Im Internet-Cafe läuft gar nichts. Jedenfalls meine Applikation bei der Cablecom nicht. Bei jedem neuen Bildaufbau werde ich nach Login-Name und Password gefragt. Dateien kann ich nicht aufs Internet laden. Mir kommt der Verdacht, dass die Applikation der Cablecom nicht Internetcafe-fähig ist. Das Aus für mein Homepage-Projekt?
Am Abend geht es mit dem staatlichen Bus weiter in den Norden.
Indienreise, Von Frankfurt nach Delhi
09:24 ab Frankfurt mit AI164
Normalerweise fliegt man von und nach Indien im Dunkeln. Dank der kleinen Panne der Air India reisen wir ausnahmsweise tagsüber. Über Asien fast keine Wolken mehr, und beim Showdown des Hauptfilms kündigt der Co-Pilot an, dass der Ararat gleich links in Sicht komme. Der Film ist sofort Nebensache. Zum Glück sitze ich am Fenster, zum Glück links. Der Anblick ist atemberaubend. Majestätisch erhebt sich der Ararat mit seinen schneebedeckten Flanken aus der Landschaft. In diesem Moment bin ich vollkommen glücklich. Mutter Erde ist schön! – Wir fliegen weiter über Irak, am Kaspischen Meer vorbei über den Iran. Teheran liegt leider auf der anderen Fensterseite…
21:24 an Delhi
Mit ziemlich genau achtzehn Stunden Verspätung erreichen wir unser erstes Ziel. Als wir durch die Passkontrolle kommen, liegen die Gleitschirmsäcke bereits wohlbehalten am Gepäckband. Was will man mehr? Katja, Michael, Didi und ich teilen uns einen Marushti-Kleinbus vom Flughafen nach Pahar Ganj, dem weltweit bekannten Backpacker-Zentrum in Delhi. Im Taxi Hindi-Pop mit maximaler Lautstärke, schwülwarme und orientalisch süsse Luft bläst durchs offene Fenster, der Verkehr ist genauso chaotisch, wie ich ihn von meinem letzten Besuch in Delhi vor drei Jahren in Erinnerung habe. Wir geniessen die Fahrt. Ein preiswertes Hotel ist schnell gefunden. Wir lassen den Abend im Dachgartenrestaurant bei Bananen-Lassi und Zitronengrastee ausklingen.
Indienreise, Prolog
„Träume dein Leben oder lebe deine Träume – das ist deine Entscheidung.“
Einmal im Leben den Himalaya besuchen! Diesen Traum träumte ich schon als Dreikäsehoch. Ebensolang träume ich vom motorlosen Fliegen. Seit dem ersten Höhenflug mit einem Gleitschirm vor drei Jahren verbinden sich die beiden Träume zu einem einzigen: Gleitschirmfliegen im Himalaya.
Wie ist es, wenn ein Traum Wirklichkeit wird?
Ich will Euch auf diesen Seiten davon erzählen. Noch seht Ihr an dieser Stelle Bilder aus St. Gallen, aus der einzig wahren Bar in Campitello und von der Greina-Hochebene. Im Oktober 2003 soll sich das ändern. Am 5.10. fliege ich nach Delhi, und zwei, drei Tage später werde ich – inschallah – in Bir ankommen. Bir liegt 1480 müM im indischen Bundesstaat Himachal Pradesh. Es gibt dort viele Gleitschirmflieger, einen Weg zum Startplatz in Billing auf 2290 müM, einen Landeplatz, Reisfelder, …, und ein Internetcafe. Wenn es dessen Infrastruktur zulässt, könnt Ihr hier erfahren, wie Anja mit den Adlern im Himalaya Kreise zieht.
Ich lade Euch ein, die Indienreise gemeinsam mit mir zu erleben.
Anja