Mein erster Weltrekord – eine Fallstudie

Wer einen Bericht über eine aussergewöhnliche fliegerische Leistung erwartet, der wird enttäuscht. Über den Flug Ende August gibt es nämlich aus sportlicher Sicht nicht viel zu berichten. Wen jedoch Hintergründe interessieren, der lese weiter.

Die aktiven Weltrekorde der FAI, der Fédération Aéronautique Internationale, bei den Damen repräsentieren fliegerische Leistungen, die heutzutage relativ leicht überboten werden könnten. Ausgenommen davon ist allein der Flug von Petra Krausova am 18.11.2005, der gleich für zwei Rekorde gut war. Trotzdem haben diese Rekorde Bestand. Warum ist das so?

Wer sich das Regelwerk genauer ansieht, stellt fest, dass für die meisten Flugtypen Anfangs- und Endpunkt an einem Eckpunkt des Kurses liegen müssen. Das entspricht in vielen Fluggebieten nicht den dort geflogenenen XC-Klassikern. Beispiel Fiesch: Der typische Hin- und Rückflug führt in Fiesch erst nach ONO zum Siedelhorn oder bei guten Bedingungen bis zum Furkapass, dann wieder am Start vorbei und weiter in Richtung WSW bis z.B. Crans Montana und wieder zurück zum Landeplatz Fiesch. Ebenso das FAI-Dreieck mit dem Schenkel ins Saaser Tal: auch hier liegt der Start- und Endpunkt auf dem Schenkel, und nicht, wie gefordert, auf der Spitze.

Ähnliches gilt für die Dreieck-Geschwindigkeitsflüge. Im passenden Gelände ein Leichtes zu überbieten, an den meisten anderen Orten der Welt kaum zu machen. Ich habe beispielsweise vergebens versucht, ein schnelles gleichschenkliges 25 km Dreieck im Alpstein zu planen. Für das schnellste 25 km FAI-Dreieck ist Chamonix günstig. Fiona Macascill, die Inhaberin des Weltrekords, fährt regelmässig im April dorthin, um ihren eigenen Rekord zu überbieten.

Etwas plakativ formuliert: Die guten XC-Piloten sind gar nicht daran interessiert, sich in den Flugaufgaben gemäss FAI-Weltrekord-Reglement zu messen. Nur der spektakuläre und publicityträchtige Typ „Straight Distance“ ist davon ausgenommen.

Die Commission Internationale de Vol Libre (CIVL) hat sich nun etwas einfallen lassen, um die Rekordtypen der fliegerischen Realität anzugleichen. Seit der Vollversammlung im Februar 2008 gibt es „freie Flüge“ im Reglement. Wie beim OLC-Fliegen muss der Pilot nicht mehr vorher ansagen, wo die Wendepunkte liegen werden. Beim „Flug über bis zu drei Wendepunkte“ darf man auch dem Schenkel eines flachen Dreiecks starten/enden.

Allerdings ist die Formulierung der neuen Regel im Sportingcode Anhang 7D der FAI nicht ohne Zweideutigkeiten. „To be homologated, the initial Free Distance record must exceed the corresponding “non free” recordby the value defined in 3.4.“ (Annex 6). Was ist der korrespondierende „nicht freie“ Rekord? Gibt es ihn überhaupt?

Zur Klärung dieser Frage unternehme ich einen Feldversuch. Am 30.08.2008 bin ich zum Spassfliegen in Fiesch. Das Wetter ist streckenflugtauglich, aber für ein richtig gutes Dreieck sind mir die Bedingungen zu schwach. Also nutze ich meinen Flug als Probe für den Weg durch die Anerkennungsinstanzen der FAI und reiche den Flug als World Record Claim ein.

Als ich die Eingangsbestätigung der FAI zum Antrag lese, bin ich überrascht: Der Flug wurde als „Distance over a triangular course“ klassifiziert, was er ja definitiv nicht ist.

In den folgenden Tagen lerne ich per Telefon und eMail verschiedene hilfsbereite, freundliche Herren bei der FAI in Lausanne, beim nationalen Aeroclub der Schweiz in Luzern und bei der CIVL kennen. Die Recherchen ergeben: Aus Sicht der FAI existiert der Typ „freie Strecke über bis zu 3 Wendepunkten“ gar nicht, obwohl von der CIVL-Vollversammlung so beschlossen. Flip Koetsier, der CIVL-Präsident, verspricht für Klärung zu sorgen.

Dann herrscht etwa zwei Monate Stille. Mitte November erfolgt die offizielle Anerkennung des Rekords.

Dazwischen ist wohl so einiges hinter den Kulissen passiert. Wer das Protokoll der Herbstversammlung 2008 des CIVL-Büros liest, wird an mehreren Stellen fündig. Mein Antrag hat einen Präzedenzfall geschaffen:

„The second case involved a deficiency in the S7D rules for a new (in 2008) record category of “Free Distance Flight” which resulted in the rejection of a claim by the FAI. I consulted with the Chairman of the Records & Badges SC and persuaded the FAI to accept the record for verification with an assurance that the S7D omissions were merely drafting errors which would be addressed in the next edition and that the Plenary had clearly intended the new category of record to be effective from 1 May 2008.“ (John Aldridge)

Zur Frage des sportlichen Wertes des Fluges, die wegen mangelnder Vergleichbarkeit zu anderen Typen nicht objektiv entscheidbar ist, lautet der pragmatische Rat: „My humble suggestion is that the initial claim in the category be awarded to the first person smart enough and energetic enough to make a flight and file a claim! If that record performance is not sufficiently difficult, another claim will soon follow.“

Jetzt bin ich tatsächlich ein wenig stolz auf meinen kleinen Weltrekord:
1) Der Antrag hat zur Verbesserung des Regelwerks beigetragen, und damit zukünftigen Antragstellern den Weg geebnet.
2) So manch ein Pilot hat erst dank dieses Antrags realisiert, dass es neue Typen gibt, die auch für XC-Flieger spannend sind.
3) Ich selbst habe gelernt, welche Fallstricke der Bürokratie ich beachten muss, wenn ich mal einen richtig tollen Flug einreichen will.

Gestern abend bei der Sportfeier des Schweizerischen Hängegleiterverbands SHV überreichte mir der Generalsekretär des Schweizer Aeroclubs, Felix Kiser, das Diplom für den Rekord. Jetzt kommt noch die Gebührenrechnung, dann ist diese Übung in Sachen „Was muss ich tun, um einen Weltrekord anerkannt zu bekommen?“ für mich abgeschlossen.

  3 comments for “Mein erster Weltrekord – eine Fallstudie

Comments are closed.