Monsenior Tabosa

Am Anfang geht der Plan gut auf.

Alle langen, weiten Flüge der letzten Tage weisen eine Gemeinsamkeit auf: der Pilot verliess den Startberg nicht vor 9:30 Uhr. Um diese Zeit stand ich meist schon wieder am Boden. So liegt es auf der Hand, heute einmal später abzufliegen.

Um kurz vor neun kämpfen wir mit Null-Steigen am Startplatzberg. Bis gestern war das unvorstellbar, denn wenigstens dynamisch stieg es bislang immer. Da muss eine Monsterthermik in der Ebene vor uns ausgelöst haben, denn für knapp zehn Minuten regt sich bei uns kaum ein Lüftchen, und vier Piloten müssen tatsächlich landen gehen.

Dann setzen die Aufwinde wieder ein, und ruckzuck bin ich mit gut 1300 m an der Basis. Es ist 9:45 Uhr – Abflug in einen entwickelten Tag! Nach zehn Kilomentern stehe ich erneut fast am Boden. Ich lasse mich knapp über Grund treiben, und im Lee eines Felsens kommt dann genug warme Luft zusammen, um meinen Schirm und mich hochzupusten. Das ist der einzige „low save“ an diesem Tag.

Alfredo Studer hat uns vor dem Flug noch „Flachlandfliegen in fünf Minuten“ gebrieft, und tatsächlich gehe ich die Routenwahl heute anders als an den Vortagen an. Auch Alfredo hat die Erfahrung gemacht, dass an vielen Tagen vier von fünf Wolken nicht ziehen. Dummerweise sieht man es ihnen nicht an, ob sie (noch) aktiv sind. Einfach Geradeausfliegen aufs Geratewohl („nicht du findest die Thermik, sondern die Thermik findet dich“) funktioniert bei Arbeitshöhen von rund 1000 m also nicht. Sich auch am Gelände zu orientieren, ist geraten. Thermikauslöser sind Vertiefungen im Gelände. Dort kann sich am meisten warme Luft sammeln. Ich gucke heute besonders konzentriert, ob ich Wasserläufe entdecken kann. Ideal natürlich, wenn sie in Flugrichtung verlaufen, und in einem künstlichen See enden…

Es läuft gut, und ich bin selten tiefer als 800 m, bevor ich wieder eine Thermik finde. Auf dieser Höhe sind die Thermiken gut organisiert und auch für meinen Weichohrschirm fliegbar. Kurz vor Madalena entdecke ich Beat und Kamira vor mir. Toll, denke ich, da ist Gesellschaft. Doch bei Madalena habe ich beide Schirme wieder aus den Augen verloren. Es läuft trotzdem einfach weiter. Die Wolken arbeiten heute gut. Meist kann ich sie hoch von der Luvseite anfliegen, und erwische dann gerade wieder eine Thermik. Ein Kinderspiel, und schon bin ich über Monsenior Tabosa. Es ist kurz vor eins, seit drei Stunden bin ich unterwegs, mindestens weitere drei Stunden mit auswertbarer Thermik sind zu erwarten. Hinter dem Ort steigt das Gelände an, und die Strasse nach Nova Russa verschwindet zunächst in einem Canyon, ehe sie dann im 20° Winkel von meiner Flugrichtung nach Süden abbiegt.

Eine Entscheidung ist angesagt. Soll ich das höhere Gelände der Serra Branca nördlich, also mit dem Wind umfliegen? Das bedeutet, dass ich später mit einer Gegenwindkomponente wieder auf Kurs zur Strasse zurück kehren muss. Oder fliege ich ab durch die Mitte? Das höhere Gelände vor mir sieht verheissungsvoll aus. Ein langer Kessel in Windrichtung trifft auf eine weitere Mulde im Lee des Berges. Ich bin mir ganz sicher: da vorn gibt es Thermik. Also fliege ich direkt auf den Schnittpunkt der beiden Mulden zu. Als ich nur noch 2 km vor dem angepeilten Punkt bin, bildet sich darüber sogar eine Wolke. Yes!

Da vorn, am Ende des Hochtals, gibt es sicher Thermik

Was ich bei meiner Wahl ausser acht gelassen habe: Für den Thermikeinstieg bin ich wegen des erhöhten Profils viel näher am Gelände als 600 m, die ich als meine Komfortzone im Flachland überall versucht habe einzuhalten. Irgendwie haben Auge und Hirn auf mitteleuropäischen Bergflugmodus geschaltet. Ein folgenreicher Fehler. Als ich in die Thermik einfliege, bin ich vielleicht noch 200 m über Boden. Die Thermik ist stark, und stark turbulent. Mein Schirm klappt seine beiden weichen Ohren ein, und wir werden wie ein Blatt im Wind herumgeschleudert. So wenig manövrierfähig werden wir auf der Leeseite aus der Thermik wieder ausgespeuzt. Nach etwa fünf Minuten habe ich es endlich geschafft: der Schirm ist wieder offen. Allerdings ist das Gelände bereits sehr nah. Mit Rückenwind fliege ich auf die letzte kleine Erhebung vor dem Canyon zu. Es trägt nicht, und mit Rückenwind rase ich auf ein ansteigendes Feld zu. Kurz vor dem Bodenkontakt erkenne ich noch Felsbrocken und Baumstrünke – eine A****landung ist keine Option. Lieber die Beine als Stossdämpfer benutzen, als das Steissbein und die Wirbelsäule.

Verlauf der letzten Flugminuten

Die Sternchen verziehen sich nur langsam nach dem Einschlag. Zwei Männer vom nächstgelegenen Haus kommen angerannt. Ich liege immer noch auf der Seite und presse die Hände gegen das rechte Schienbein, kurz unterhalb des Knies, da wo die Schmerzen herkommen. Ich bin sicher, das Schienbein ist gebrochen.

Die Boden-Boden-Funkverbindung funktioniert nicht, ein Mobiltelefonnetz gibt es hier auch nicht. Auf dem SPOT setze ich eine Help-Message ab. Einen überfliegenden Piloten bitte ich, meine Position weiterzuleiten.

Rund eineinhalb Stunden nach meiner Bruchlandung. Ich sitze mittlerweile auf der Veranda der beiden Helfer, die die Ausrüstung und mich vom Einschlagort hierher gebracht haben. Vermutlich habe ich riesiges Glück gehabt, dass mich die Erhebung noch vor dem Canyon gebremst hat. Ich weiss, hätte die Höhe gereicht, ich hätte probiert durch den Canyon zu fliegen. – Ich hoffe, dass ich meinen Rückflug in die Schweiz umbuchen kann. Meinen Weichohrschirm will ich so schnell wie möglich gegen einen einfacher zu fliegendes Modell eintauschen. In Quixadá will ich nie wieder fliegen. Das ist viel zu gefährlich hier für leichtsinnige Piloten wie mich!

Ein Krankenwagen fährt vor. Der Fahrer lädt Sack, Pack und mich ein. Wir fahren in halsbrecherischem Tempo ins Hospital von Monsenior Tabosa. Dort humpelt mir Rico entgegen… (eine andere Geschichte, die er selbst erzählen kann). Eine Untersuchung ergibt: kein Beinbruch, nur ein instabiles Knie, Prellungen und Hautabschürfungen.

Das Knie kühle ich mit Eis, den Schrecken dämpfe ich mit Bier. Morgen gehe ich sicher nicht fliegen. Aber übermorgen vielleicht doch wieder?

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